32 33 Und wenn mal eine von uns gar keine Lust hatte, dann behauptete sie, ihr sei nicht wohl. Mit Sicherheit gab es daheim eine Oma oder die Mama, die weiter strickte oder nähte. Einmal hatte ich in der großen Pause am Vormittag einen Vorschlag: „Wir könnten doch am Nachmittag ins Kino gehen“ und gleich waren alle Feuer und Flamme für den Plan. Nach einer angemessenen Wartezeit begann ich vorsichtig das Vorhaben vorzutragen und dann bestürmten alle gemeinsam Schwester Theonilla mit tausend Versprechungen, bis sie uns tatsächlich erlaubte, nach einer Stunde Unterricht ins Kino zu gehen – quasi nebenan. „Natürlich nur, wenn ihr vorher ganz konzentriert und ohne zu schwätzen arbeitet“, verlangte sie. Und wie wir das plötzlich konnten! Nebenbei bemerkt: der Film, den wir sehen wollten, war ein Märchenfilm. Unsere erste Arbeit in Klasse 1 Gymnasium (alte Zählung) war eine Schürze. Unsere Mütter mussten dafür „Gminder Halblinnen“ kaufen – damals der Handarbeitsstoff schlechthin und in vielen Farben erhältlich, leider heute nicht mehr auf dem Markt – dünnes Häkelgarn und eine Häkelnadel Nr. 2. Mein Stoff war dunkelrosa; heute würde es altrosa heißen. Der Schnitt war ganz simpel, alles „am Stück“ und nicht so aufwendig aus mehreren Teilen, mit Falten und Volants wie damals üblich. Schwester Theonilla schnitt die Schürze, die Besätze und die Taschen zu, die Bänder mussten wir „fadengerade“ selber schneiden. Das war nicht ganz einfach, denn wer hatte damals schon eine gut schneidende Schere? Ich jedenfalls nicht. Alles wurde von Hand mit verschiedenen Stichen genäht, gesäumt und zum Teil dekorativ umhäkelt. So lernten wir ganz nebenbei „Steppstich“, „Stilstich“, „Saumstich“ und für den „Riegel“ den „Knopflochstich“ und auch einen Knopf anzunähen, mit „Hals“. Ich war mächtig stolz auf meine Schürze und ich gebe zu: Mit geringen Abweichungen ließ ich später, als ich einmal „fachfremd“ unterrichten musste, meine Schüler ebenfalls eine Schürze nähen. In Klasse 2 strickten wir den Klassiker „Wollsocken“ – und lernten auch gleich Wollsocken zu stopfen. Mit „Gitterstopfe“ oder „Festonstopfe“ und einem „Stopfei“ flickten wir häusliche löchrige Socken. Das Zeitalter der haltbaren Kunstfasern war noch fern; im neuen Zeitalter handgestrickter Socken kann man die Techniken wieder brauchen, denn wer wirft schon selbstgestrickte Socken weg? In Klasse 4 war das Ziel unserer Mühen ein Paar Handschuhe. Schwester Theonilla war auf der Höhe der Zeit, ein Gestrick im „Patentmuster“ war damals der Hit! Deshalb dachte sie sich für uns Handschuhe aus, Handschuhe im Patentmuster. Und wer schnell fertig war, durfte sich gleich noch an Fingerhandschuhe wagen, denn die waren für die modebewusste Dame verpflichtend aber teuer im Einkauf. Aber, so modebewusst waren nicht alle. Wir nähten auch eine gefütterte Badetasche – wer hätte vermutet, dass eine Ordensschwester an so ein Freizeitattribut denkt. Auf „zählbarem“ „Aida“- Stoff stickten wir mit einer „Straminnadel“ ein selbst entworfenes farbiges Muster mit „Kreuzstichen“. Dabei versäumte Schwester Theonilla nicht, uns einzuschärfen, dass vorgedruckte Muster bzw. malerisch ausgeführte Kreuzstichbilder „Kitsch“ sind. Jawohl! Das habe ich mir gut gemerkt. Für eine Kimono-Dirndlbluse entwarf jede Schülerin eine Zierstichborte aus farbigem Stickgarn, die dann auf die Schulternaht der Bluse genäht wurde. Auch ein Kopfkissen stand auf dem Programm. Das sechste Knopfloch sah dann endlich ganz passabel aus, und der sechste Knopf hatte auch den vorschriftsmäßigen „Hals“ zum besseren Durchknöpfen. Das Deckchen mit „Hohlsaum“ legte ich meiner Mutter auf den Geburtstagstisch. In Klasse 4 sollten wir uns ein Nachthemd nähen. Nachthemden waren gar nicht nach meinem Geschmack, wohl aber das Nähen mit der Nähmaschine. Kaum war ich mit dem ungeliebten Nachthemd fertig, bettelte ich Schwester Theonilla, einen Schlafanzug nähen zu dürfen. Ich durfte. Nicht nur das: sie schnitt mir auch die Teile zu, aufwendig mit einem Revers, und gab Tipps zur Reihenfolge der zu fertigenden Nähte. Aber es gab auch in allen vier Schuljahren für uns ein Ärgernis. Ein Riesenärgernis. Wir mussten auch das Flicken von allerlei Textilien lernen – Schwester Theonilla nannte es etwas vornehmer „Ausbessern“ – eine löbliche Tugend damals in der kargen Nachkriegszeit, als es an allem mangelte. Wir Mädchen aber verabscheuten diese von Schwester Theonilla als überaus nützlich beschriebenen Unterrichtseinheiten, und es bedurfte ihres ganzen pädagogischen Geschicks, uns das „Ausbessern“ schmackhaft zu machen. Meiner Mutter war es sehr peinlich, ein „blödes“, gesprochen „bleedes“ – bei diesem Wort brachen wir in helles Gelächter aus – also ein fadenscheiniges Küchentuch oder ein zerschlissenes Laken mitzugeben, um diese Stellen durch Stopfen, „Wiefeln“, Wenden oder einem kunstvoll eingesetzten Flicken wieder gebrauchstüchtig zu machen. Warum weiß ich das alles noch so genau? Jede Arbeit mussten wir in einem großen Heft beschreiben und zeichnen, und dieses Heft habe ich noch. Nach Klasse 4 war der Handarbeitsunterricht nicht mehr verpflichtend. Aber wer wollte, konnte noch kommen. Ich wollte und nähte mir einen mittelblauen Rock und eine hellblaue Bluse für die Pfadfindertracht und ein Hemdblusenkleid. Ein Hemdblusenkleid war Mitte der Fünfzigerjahre ein Must have und ich konnte es mit dem selbstgeflochtenen Gürtel aus Klasse 3 komplettieren. Wenn ich beim Nähen nicht mehr weiter wusste, hatte es Schwester Theonilla längst bemerkt und half mit einem Griff oder einem Ratschlag weiter. Posthum ein großes Lob und ein herzliches Dankeschön an Schwester Theonilla! Hadmute Bechler
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