Kriegerdenkmal am Groggensee
von Ludwig Ohngemach
Nachdem es bereits seit dem Ende des Weltkrieges 1918 auch in Ehingen immer wieder Bestrebungen gegeben hatte, für die Gefallenen und Vermißten ein Denkmal zu errichten, lebte gegen Ende des Jahres 1928 diese Diskussion wieder auf.[1] Im Oktober 1928 war dies auch Thema einer kurzen namentlich nicht gezeichneten Betrachtung, die auf der Ehinger Lokalseite im "Volksfreund für Oberschwaben" erschien.[2] Dort war u. a. zu entnehmen, daß eine Realisierung bis zu diesem Zeitpunkt vor allem an der Finanzierung gescheitert war. Mit Hilfe einer Sammlung sollte nun zumindest ein Teil der benötigten Mittel aufgebracht werden.
Suche nach einem geeigneten Standort und nach der geeigneten Gestaltung
Noch im gleichen Monat führte der Volksfreund eine Umfrage unter seinen Lesern durch, wo ein Kriegerdenkmal aufgestellt werden sollte.[3] Friedhof und Rathausgarten fanden etwa gleich viele Fürsprecher, wobei der zuständige Zeitungsredakteur den Einsendern, die sich für eine Aufstellung am Friedhof aussprachen, den meisten Raum einräumte. Einem Denkmal auf dem Wolfert wurden dagegen kaum Chancen gegeben, da diese Anlage mit Turm und Denkmal dem Krieg gegen Frankreich 1870/71 gewidmet sei.
In eine neue Phase trat die Diskussion über die Denkmalfrage, als Stadtschultheiß Dr. Henger[4] in einem längeren dreiteiligen Aufsatz in der Ehinger Lokalpresse seine Vorstellungen erläuterte.[5] Seine Ausführungen wirkten als Initialzündung und lösten eine breite Diskussion aus, die wiederum in den Zeitungen ihren Niederschlag fand.[6] Mit im Vordergrund des Interesses stand weiterhin die Standortfrage, wobei sich offenbar eine Mehrheit für den Friedhof einsetzte. Eine Aufstellung am Turm der Stadtpfarrkirche oder auf dem Vorplatz vor St. Blasius meinte man den evangelischen Mitbürgern nicht zumuten zu können. Dagegen sollte die Wolfertanlage weiterhin dem Gedenken an den Krieg von 1870/71 vorbehalten bleiben. Das Krockental, von Schultheiß Dr. Henger in die Diskussion eingeführt, hielten die Meisten ohne nähere Begründung ebenfalls für wenig geeignet.
Was die Gestaltung des Denkmales selbst betrifft, wurden vor allem der Vorschlag Dr. Hengers, der sich einen Löwen vorstellte, sowie die Einbeziehung des Ehinger Stadtpatrons St.Theodul, diskutiert. Für letztere Lösung lag einem Leserbrief zufolge, der wohl von Karl Flügel[7] stammte, im Frühjahr 1929 bereits der Entwurf eines "der bedeutendsten Bildhauers Süddeutschlands" vor. Wer gemeint war bleibt im Dunkeln, sein Name wird in der erwähnten Zuschrift nicht genannt. Dagegen wies der Leserbriefschreiber darauf hin, daß es sich bei dem Löwendenkmal lediglich um die Kopie des Originals in einer anderen Stadt handeln würde. Gemeint ist wohl das Ehrenmal des Infanterie-Regiments Nr.169 in Lahr.[8] Dieses war im September des Vorjahres eingeweiht worden und spätestens seit Oktober stand Dr. Henger in Verbindung mit dessen Schöpfer, dem Lahrer Bildhauer Franz Sieferle.[9] Dieser fertigte bereits damals einen Entwurf in Gestalt eines Löwen für das Ehinger Vorhaben an. Es gibt auch Hinweise, daß Henger bereits damals an den späteren Standort am Krockensee dachte.[10] Andere, wie die Mitglieder des Reichsbundes der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegerhinterbliebenen, setzten sich für ein Motiv ein, das "für das Opfer des ganzen Volkes stehen könne", also nicht nur der Gefallenen.
Am 6. Mai legten der Vorsitzende des Diözesankunstvereins, Pfarrer Pfeffer, Lautlingen[11], und Regierungsbaumeister Schlösser ihre Vorstellungen dem Ehinger Gemeinderat dar.[12] Weiterhin wurden als Kunstsachverständige die Professoren Eib und Stocken, beide von Stuttgart, gehört.[13] Wiederum stand die Auswahl des Aufstellungsortes im Mittelpunkt des Interesses. Beide Sachverständigen bezeichneten den Rathausgarten zwar als geeignet, doch müßte dann die Umgebung eine Neugestaltung erfahren. Dies aber würde erhebliche Zusatzkosten verursachen. Auch den Platz bei der Stadtpfarrkirche St.Blasius hielten sie für sehr geeignet, was aber in gleicher Weise für den Friedhof beziehungsweise für dessen geplante Erweiterung gelte. Dagegen biete sich die Krockenseeanlage für ein Kriegerdenkmal nicht an, der Platz sei zu profan. Auch das Gelände am Wolfert scheide wegen der Denkmäler aus, die dort bereits aufgestellt seien.
In der folgenden Woche meldete sich Stadtschultheiß Dr. Henger erneut in der Lokalpresse zu Wort.[14] Er verwies darauf, daß das Landesamt für Denkmalpflege den Friedhof für ungeeignet halte. Er selbst könne den Argumenten gegen den Rathausgarten, gegen den u. a. eingewendet werde, er sei zu ruhig und abgelegen, nicht zustimmen. Da das Krockental und der Platz an der katholischen Stadtpfarrkirche aus unterschiedlichen Gründen nicht in Frage kämen, sei der öffentliche Platz am Rathausgarten der geeignetste Aufstellungsort. Gegen den Kirchplatz bei St.Blasius spreche, daß sich hierbei der protestantische Teil der Bürgerschaft zurückgesetzt fühle, wie ein entsprechendes Schreiben des Evangelischen Kirchenstiftungsrates belege.
Schließlich entschied sich der Gemeinderat mit knapper Mehrheit für den Rathausgarten.[15] Dieses Votum wurde jedoch von einem Teil der Bevölkerung nicht akzeptiert. Auf Antrag der "Katholischen Arbeitsgemeinschaft" befaßte sich der Gemeinderat bereits in seiner nächsten Sitzung am 11. Juli erneut mit der Standortfrage. Nach kontroverser Diskussion bekräftigte das Gremium durch Stichentscheid des Bürgermeisters den bereits früher gefaßten Beschluß, das Kriegerdenkmal im Rathausgarten zu errichten.[16]
Um das Vorhaben nun zügig voranzutreiben, wurde eine Kommission bestehend aus dem Bürgermeister, vier Gemeinderäten und den Sachverständigen Pfarrer Pfeffer sowie den Professoren Fiechter und Wetzel gewählt. Diese sollten zudem vier Vertreter aus der Bürgerschaft hinzuziehen.[17]
Entgegen den Erwartungen, scheint das Vorhaben jedoch nicht recht vorangekommen zu sein, denn erst aus dem folgenden Jahr sind weitere Aktivitäten zu belegen. Auf Vorschlag von Prof. Wetzel wurde nun die Möglichkeit diskutiert, das Kriegerdenkmal an der Friedhofskapelle anzubringen. Als Voraussetzung galt, daß eine anzubauende Leichenhalle dem Denkmal einen architektonischen Rahmen gebe. Das Stadtbauamt erhielt den Auftrag, einen genauen Plan mit Kostenvoranschlag auszuarbeiten.[18] Und tatsächlich entschied der Gemeinderat in seiner Sitzung vom 1. Mai 1930 die Erstellung eines Kriegerdenkmales zusammen mit einem Leichenhaus auf dem Friedhof.[19] Die Realisierung konnte jedoch nicht in Angriff genommen werden, da die hierzu notwendige Schuldaufnahme von den Aufsichtsbehörden nicht genehmigt wurde.[20]
Der zweite Anlauf
An diesem Stand der Dinge änderte sich in den nachfolgenden Jahren nichts mehr. Erst im Sommer 1933 griff Bürgermeister Dr. Henger sein altes Anliegen wie es heißt, mit der zuversichtlichen Hoffnung wieder auf, die Denkmalfrage nun doch noch regeln zu können. Er schlug dem Gemeinderat vor, dem Denkmal die Gestalt eines großen Löwen zu geben. Er stellte also erneut den Entwurf Sieferles aus dem Jahre 1928 zur Diskussion.[21] Für die Figur rechnete man mit Kosten in Höhe von 6000 Mark, während die Realisierung des Sockelaufbaues mit 2000 Mark veranschlagt wurde. Zur Finanzierung sollten auch die seinerzeit bei der Sammlung aufgebrachten Mittel von etwa 11 000 Mark verwendet werden. Außerdem war vorgesehen, daß die Stadtgemeinde Baumaterialien zur Verfügung stelle.
Hinsichtlich des Aufstellungsplatzes hatte man sich offenbar bereits in der ersten Jahreshälfte 1933 endgültig auf das Gelände am Krockensee festgelegt.[22]
Der Vorschlag Dr. Hengers wurde angenommen und die weiteren Vorbereitungen einer Kommission des Gemeinderates sowie dem Stadtbaumeister Kurz[23] übertragen. Als weiterer Sachverständiger sollte ein Ehinger Bildhauer mitwirken.[24]
Bereits Mitte August machten sie sich auf die Reise nach Lahr um das dortige Denkmal zu besichtigen.[25] Dieses war im September 1928 eingeweiht worden. Es zeigte einen mächtigen Löwen auf einem Sockel und stammte ebenfalls von Franz Sieferle.
Nach dem Besuch der Gemeinderäte in Lahr lieferte Sieferle am 17. August sein Angebot. Demzufolge sollte der Löwe, unter Verwendung Kaiserstühler Marmors als Vorsatzmaterial 6000 Reichsmark kosten. Fundament und Sockel sowie ein Schutzdach über die Baustelle hatte die Stadt zu stellen. Weiterhin verpflichtete sich Sieferle die Ehinger Bildhauer Dangelmaier, Vater und Sohn, zu beschäftigen.[26]
Sieferle mußte allerdings nochmals um seinen Auftrag bangen. Auf der Rückfahrt von Lahr hatten die Gemeinderäte ein entsprechendes Denkmal von Prof. Liebich[27] in Gutach gesehen, das ihnen offenbar noch mehr zusagte. In einem Brief an Sieferle berichtet Dr. Henger, daß es seiner "ganze[n] Überredungskunst" bedürft habe, damit sich nicht alle Herren vom Lahrer Löwenprojekt abgewandt hätten. Schließlich begnügten sich die Ehinger Gemeinderäte, Prof. Liebich aufzufordern, einen Vorschlag zur Anbringung von Reliefs am Denkmalsockel zu machen. Tatsächlich war Sieferle bereit, das Denkmal in der nun von Henger vorgeschlagenen Weise auszuführen.[28] Um seine Chancen zu wahren, müsse Sieferle, so schrieb Dr. Henger, Zugeständnisse beim Preis hinnehmen, d. h. für Denkmal und Sockel sollten nicht mehr als 5000 Reichsmark ausgegeben werden.[29]
Am 5. September 1933 erhielt Franz Sieferle die Nachricht aus Ehingen, daß er nunmehr den Auftrag erhalten habe. Freilich hatte er sich zuvor nochmals mit einer Preisreduzierung abfinden müssen, sodaß der Löwe nunmehr für 4800 RM zu erstellen war.[30]
Die Bauarbeiten am Denkmal und die Ablösung Franz Sieferles durch Kunstbildhauer Frey
Die Bauarbeiten begannen offenbar recht zügig. Am 22. September konnte der Gemeinderat einen ersten Bericht über die bisher erreichten Fortschritte entgegennehmen. Demnach war der Auftrag zur Errichtung des Sockels bereits vergeben worden. Daneben hatten man Verhandlungen über die Beschaffung der benötigten Baumaterialien aufgenommen. Die Firma Portlandzement hatte zugesagt, 300 Sack Zement gratis zu liefern. Weitere 300 Sack wollte sie zum Großhandelspreis abgeben.[31]
Die Arbeiten kamen so gut voran, daß man von seiten der Stadt eher bremste, hatte man doch einen Einweihungstermin erst für das folgende Jahr ins Auge gefaßt. Im Oktober führte dann Bürgermeister Dr. Henger plötzlich einen weiteren Sachverständigen ein, einen Kunstbildhauer Frey aus Stuttgart.[32] Wer oder was zu dieser Maßnahme Veranlassung gegeben hat, wird aus den schriftlichen Quellen nicht deutlich.[33] Auch die gesamte weitere Entwicklung ist aus der erhaltenen Aktenlage nicht eindeutig zu erhellen. Es scheint, daß Bildhauer Frey aus Stuttgart über Parteikanäle die weitere Mitwirkung von Sieferle unterbunden hat. Dabei könnte auch eine Rolle gespielt haben, daß dieser Badener war. Nach einem Bericht des Bürgermeisters vor dem Gemeinderat führte Frey anatomische Fehler am Löwen ins Feld. Bereits in der gleichen Sitzung am 23. November nahm man in Aussicht, Frey mit der Beseitigung dieser Mängel sowie der Fertigstellung des Denkmals zu beauftragen.[34] Sieferle versuchte sich gegen seine Kaltstellung zu wehren. Doch selbst die Einschaltung mehrerer Parteifunktionäre konnte an den getroffenen Entscheidungen nichts mehr ändern. Noch Ende Januar 1934 besprach Sieferle die Angelegenheit mit dem Landesleiter der Reichskammer der bildenden Künste für Baden und der Pfalz.[35]
Für die Stadt freilich ging es seit November 1933 nur noch darum, sich mit Franz Sieferle über eine angemessene Entschädigung für seine Arbeit zu einigen. Sieferle dagegen wollte noch Ende Januar 1934 - sofern ihm der Aufenthalt in Ehingen vom Bezirksamt nicht polizeilich verboten werde - sein Denkmal fertigstellen. Nachdem er sich schließlich mit einer Abfindung zufrieden gab, schloß man mit Kunstbildhauer Frey einen Werkvertrag, demzufolge er das Kriegerdenkmal nach einem eingereichten zweiten Modell fertigstellen sollte. Nunmehr rechnete man nach einem Kostenvoranschlag des Stadtbauamtes mit Kosten von 12 500 Mark.[36]
Interessant sind die Konstruktionshinweise, die beim Abbruch des Lahrer Denkmals gewonnen werden konnten und die im wesentlichen auch auf den Ehinger Löwen zutreffen. Demnach hat Sieferle auf den Sockel zunächst ein Gerüst aus Eisenträgern aufgebaut. Dieses bereitete er in seinem Lahrer Atelier vor und ließ es per Eisenbahn nach Ehingen schaffen. Das Gerüst wurde mit Steinen und Zementmörtel gefüllt in der Art, daß sich der grobe Umriß eines Löwen ergab. Auf diesen Unterbau wurde nun eine etwa 10 cm dicke Mörtelmasse aufgetragen, aus der er die Details des Löwenkörpers herausmodellierte.[37]
Einweihung
Die Arbeiten im Krockental, die von der Lokalpresse mit großem Interesse verfolgt wurden, kamen offenbar rasch voran.[38] Und bereits am 1. Juli 1934 konnte das Denkmal eingeweiht werden. Am Morgen fand in beiden Kirchen ein Festgottesdienst statt, dessen Besuch Bestandteil der Dienstordnung der NSKOV[39] Ortsgruppe Ehingen war. Danach schloß sich die Weihe der Fahnen des Kyffhäuserbundes[40] in der Festhalle an. Und daneben auf dem Lindenplatz stellte sich danach auch der Festzug auf, der sich über den Marktplatz, durch die heutige obere Hauptstraße zum Schmiechgraben bewegte. Die Marschfolge war folgendermaßen festgelegt: Hitlerjugend, SA-Ehrensturm, SA-Reserve, SS und Motor-SS, Fliegergruppe, Parteiorganisation, zivile Parteigenossen, Musikkapelle, Bürgerwache, Kriegerverein und Militärverein. Am neuen Denkmal waren mehrere Ansprachen vorgesehen, u. a. von Kunstbildhauer Frey aus Stuttgart, der "als Erbauer des Denkmals" vorgestellt wurde. Weiterhin traten als Redner auf: Bürgermeister Dr. Henger sowie Kreisleiter Oberstudiendirektor Blankenhorn.[41] Insgesamt fällt die starke Präsenz von Parteigliederungen und Parteifunktionären auf. Und in der örtlichen Parteipresse wurde nicht versäumt, auf die Bedeutung der geistigen Strömung "die vom Nationalsozialismus seit der Machtübernahme des Führers ausging[e]", bei der Realisierung des Denkmals zu verweisen. Die Enthüllung nahm als Vorstand der Stadt Bürgermeister Dr. Henger vor.[42]